Klage auf Gesundheitsversorgung für Menschen ohne Papiere
Berlin, 10. Mai 2022 – Gemeinsam mit einem Kläger aus dem Kosovo klagen die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) und die Organisation Ärzte der Welt heute gegen die Stadt Frankfurt auf Zugang zu Gesundheitsversorgung für Menschen ohne Papiere. Der herzkranke Kläger lebt und arbeitet seit 30 Jahren in Deutschland. Ohne Aufenthaltserlaubnis ist er faktisch von der Gesundheitsversorgung in Deutschland ausgeschlossen. Für eine Behandlung seiner Herzkrankheit muss er beim Sozialamt einen Behandlungsschein beantragen. Das Sozialamt ist verpflichtet, ihn sofort bei der Ausländerbehörde zu melden. Damit würde dem Kläger die Abschiebung drohen.
Übergabe der Petitionsunterschriften
Berlin, 30.03.2022 – Nach über 100 Tagen der neuen Regierung im Amt, wollen wir unserer Forderung noch einmal Nachdruck verleihen. Deshalb übergeben wir am 6. April die Petitionsunterschriften an Bundestagsabgeordnete der Regierungsfraktionen, die sich für die eine schnelle Änderung der Übermittlungspflicht einsetzen wollen. Neben Helge Lindh (SPD) als Vertreter des Innenausschusses, haben die stellvertretende Vorsitzende des Gesundheitsausschusses Kirsten Kappert-Gonther (B90/Die Grünen) und Tina Rudolph (SPD), Heike Engelhardt (SPD), Ates Gürpınar (Die LINKE) und Kristine Lütke (FDP) als Mitglieder des Gesundheitsausschusses sowie Jamila Schäfer, Vorsitzende des Bundesfinanzierungsgremiums und Mitglied des Haushaltsausschusses (B90/Die Grünen) die Unterschriften entgegengenommen.
Gesundheit ist ein Menschenrecht. Vielen bleibt es verwehrt.
Jeder Mensch hat per Gesetz das Recht auf ärztliche Behandlung. Trotzdem können zahlreiche Menschen, die ohne Aufenthaltsstatus in Deutschland leben, nicht zum Arzt. Nach Paragraf 87 Aufenthaltsgesetz ist das Sozialamt bei einer Kostenübernahme der Behandlung verpflichtet, die Daten an die Ausländerbehörde zu übermitteln. Damit würde den Betroffenen die Abschiebung drohen. Mit unserer Petition wollen wir die Übermittlungspflicht einschränken und allen Menschen – unabhängig ihres Status – ermöglichen, ohne Angst zum Arzt gehen zu können.
Welchen Einfluss der § 87 auf das Leben von Betroffenen hat, erzählen sie in ihren Geschichten.
Deine Unterschrift schützt Menschen
Die Corona-Pandemie zeigt uns erneut: Alle in Deutschland lebenden Menschen müssen ohne Angst medizinische Leistungen in Anspruch nehmen können. Doch faktisch wird dieses Recht in Deutschland Hunderttausenden verwehrt. Das Gesundheitswesen muss daher von der Pflicht ausgenommen werden, Daten über Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus an die Ausländerbehörde weiterzugeben.
Wir fordern den Gesetzgeber auf, in §87 Aufenthaltsgesetz eine Ausnahme für den Gesundheitsbereich zu schaffen und rufen alle Parteien auf, sich dafür einzusetzen.
haben schon unterschrieben
FAQ
Hier findest du Antworten auf häufig gestellte Fragen:
Was heißt „Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus“?
„Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus“ sind Menschen, die die Staatsbürgerschaft eines Landes außerhalb der EU innehaben oder (als Staatenlose) gar keine Staatsangehörigkeit haben und die in Deutschland ohne den hierfür gesetzlich vorgeschriebenen Aufenthaltstitel und ohne aktuelle behördliche Erfassung leben. Die Betroffenen haben nicht einmal eine Duldung, der schwächste Status des deutschen Aufenthaltsrechts, der zwar nur bedeutet, dass die Abschiebung vorläufig aufgeschoben ist, immerhin aber Zugang zu existenzsichernden Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz eröffnet. Teilweise wird auch von „undokumentierten Migrant*innen“ oder von „Menschen ohne Papiere“ gesprochen. Ohne geregelten Aufenthaltsstatus in Deutschland zu leben, bedeutet aber nicht zwangsläufig, keinerlei Papiere (z.B. Pass) zu besitzen.
Wie kommt es, dass Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus in Deutschland leben?
Menschen leben aus unterschiedlichen Gründen ohne geregelten Aufenthaltsstatus in Deutschland. Die überwiegende Mehrheit dieser Menschen ist nicht, wie häufig angenommen, illegal über die Grenze nach Deutschland gekommen. Vielmehr handelt es sich meist um Menschen, die zuvor einen legalen Aufenthaltsstatus besaßen, z.B. als Au Pair, als Studierende, Ehepartnerin, der jedoch aus unterschiedlichsten Gründen nicht verlängert wurde. Viele haben sich bereits ein Lebensumfeld in Deutschland aufgebaut, Arbeit und Freundinnen gefunden und möchten dieses nicht wieder aufgeben müssen.
Einige Menschen sind als „Undokumentierte“ bereits ohne Registrierung nach Deutschland eingereist. Und wieder andere sind unfreiwillig oder unter falschen Versprechungen nach Deutschland eingeschleust worden (Menschenhandel). Manche Menschen, deren Asylverfahren endgültig abgelehnt wurde, befürchten eine Abschiebung in ein Land, in dem sie Perspektivlosigkeit, Armut oder Verfolgung befürchten müssen und beschließen daher, zurückgezogen in Deutschland zu bleiben. Die Gründe, warum sich eine Person ohne geregelten Aufenthaltsstatus in Deutschland aufhält, sind also so vielfältig und individuell, wie die Menschen selbst.
Wie viele Menschen leben ohne geregelten Aufenthaltsstatus in Deutschland?
Es gibt keine verlässlichen Informationen darüber, wie viele Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus in Deutschland leben. Das liegt daran, dass die Betroffenen jeglichen Behördenkontakt meiden und daher in Statistiken kaum auftauchen. Alle existierenden Zahlen stellen lediglich Schätzungen oder Hochrechnungen dar. Die aktuellsten Schätzungen stammen aus dem Jahr 2014. Damals lebten schätzungsweise 180.000 bis 520.000 Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus in Deutschland, Tendenz steigend¹.
¹https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/EMN/Studien/wp65-emn-irregulaere-migration-freiwillige-rueckkehr.pdf;jsessionid=004455773F6C3C46A0DB6060EAD86B9A.internet552?__blob=publicationFile&v=19
Wie sieht ein Leben ohne geregelten Aufenthaltsstatus aus?
Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus versuchen nicht aufzufallen, weil sie sonst befürchten müssten, aufgedeckt und abgeschoben zu werden und so ihre Existenz zu verlieren. Sie meiden jeglichen Kontakt mit staatlichen Institutionen. Sie können daher weder Gesundheitsleistungen beantragen noch ihren Lohn einklagen oder eine Körperverletzung bei der Polizei anzeigen.
Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus arbeiten in irregulären, undokumentierten Beschäftigungsverhältnissen, ohne Absicherung im Krankheitsfall und ohne Arbeits- und Kündigungsschutz. Viele arbeiten in der Kinderbetreuung, in der Altenpflege, als Reinigungskräfte in privaten Haushalten oder in der Sexindustrie. Aber auch im Baugewerbe sind viele Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus tätig. In ihrer prekären Situation sind sie besonders gefährdet, Opfer von Ausbeutung zu werden.
Dinge, die für die meisten Menschen selbstverständlich sind, stellen Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus vor große Probleme. Es ist für sie kaum möglich Verträge einzugehen. Sie können weder eine Wohnung/ Zimmer offiziell mieten, noch ein Konto eröffnen oder einen Handyvertrag (auch Prepaid) abschließen. Außerdem ist die psychische Belastung der Situation nicht zu unterschätzen: die permanente Angst, erwischt und abgeschoben zu werden, verursacht viel Druck und Leid. Möglichkeiten der Legalisierung des Aufenthalts bestehen in Deutschland kaum – anders als in einigen anderen Ländern, in denen es regelmäßig Amnestien oder andere Legalisierungsmöglichkeiten gibt.
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Haben diese Menschen gesetzlichen Anspruch auf medizinische Versorgung?
In Deutschland besteht für Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus ein gesetzlicher Anspruch auf medizinische Versorgung. Nach §§ 1 Abs. 1 Nr. 5, 4 und 6 Asylbewerberleistungsgesetz haben sie Anspruch auf eingeschränkte medizinische Leistungen bei akuten Krankheiten oder Schmerzzuständen sowie bei Schwangerschaft und Geburt. Das Sozialamt am Wohnort ist als Kostenträger vorgesehen und müsste der beantragenden Person einen Behandlungsschein ausstellen, damit diese einen Arzt oder eine Ärztin, eine Hebamme oder andere Gesundheitsdienstleister*innen aufsuchen kann. An diesem Punkt jedoch kommt der § 87 des Aufenthaltsgesetzes ins Spiel: Das Sozialamt ist verpflichtet, der Ausländerbehörde Mitteilung zu machen, wenn der ungeregelte Aufenthaltsstatus eines Menschen bekannt wird. Aufgrund dieser Übermittlungspflicht und der anschließend drohenden Abschiebung kann der Rechtsanspruch auf medizinische Versorgung nicht angstfrei eingelöst werden.
Was hindert sie daran, sich medizinisch behandeln zu lassen?
Das Sozialamt, das als Kostenträger für die medizinische Versorgung vorgesehen ist, müsste der antragstellenden Person einen Behandlungsschein ausstellen. Als öffentliche Stelle ist das Sozialamt jedoch nach § 87 des Aufenthaltsgesetzes verpflichtet, jede Person ohne geregelten Aufenthaltsstatus unverzüglich an die zuständige Ausländerbehörde oder die Polizei zu melden. Dies bedeutet, dass bereits der Antrag auf medizinische Behandlung dazu führen würde, dass die Betroffenen entdeckt werden. Damit drohen die Festnahme und Abschiebung. Daher stellen Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus erst gar keinen Antrag auf Kostenerstattung.
Dies hat zur Folge, dass Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus die oftmals hohen Kosten für eine medizinische Behandlung und Medikamente selbst tragen müssen. Da die meisten nur über ein geringes Einkommen verfügen, können sie häufig nicht zum Arzt oder zur Ärztin gehen, obwohl sie medizinische Versorgung benötigen.
Wichtig ist jedoch zu beachten: Ärztinnen oder ihr Praxis-/Klinikpersonal dürfen die Daten ihrer Patientinnen nicht an die Ausländerbehörde weitergeben.
Was machen Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus, wenn sie krank sind, aber nicht zum Arzt gehen können?
Menschen, die keine medizinische Versorgung in Anspruch nehmen können, versuchen zunächst meist, sich selbst zu behandeln. Diese Möglichkeit geht in der Regel nicht über die Behandlung kleinerer Krankheiten und Schmerzen hinaus. Verschreibungspflichtige Medikamente können nicht eingenommen werden. Es besteht dabei die Gefahr, dass selbst eine eigentlich unkomplizierte Erkrankung nicht korrekt erkannt und behandelt wird. Weiterhin gibt es viele Erkrankungen, die in der Anfangsphase, in der sie gut und unkompliziert behandelbar wären, nur schwache Symptome aufweisen und nur durch Vorsorgeuntersuchungen bei spezialisierten Mediziner*innen diagnostiziert werden können (z.B. verschiedene Krebserkrankungen, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen). Diese Krankheiten können sich unerkannt verschlechtern oder chronifizieren. Oftmals landen die Betroffenen dann als Notfall im Krankenhaus.
In verschiedenen Städten in Deutschland gibt es Anlaufstellen für Menschen ohne Zugang zu medizinischer Versorgung, die von freiwilligem zivilgesellschaftlichem Engagement getragen werden. In einigen Kommunen und im Bundesland Thüringen sind auch Clearingstellen zur Beratung von Menschen ohne Krankenversicherung eingerichtet worden, die eine Behandlung über anonymisierte Krankenscheine ermöglichen².
Diese Anlaufstellen und Clearingstellen können für Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus eine Versorgung im Regelsystem nicht ersetzen:
- Die Finanzierung der Projekte ist zeitlich befristet und abhängig von politischen Konjunkturen und Legislaturperioden oder von freiwilligem Engagement.
- Der Umfang der Leistungen ist begrenzt: Die zur Verfügung stehenden Gesamtmittel sind begrenzt, sodass nicht alle notwendigen medizinischen Behandlungen übernommen werden können.
- Die Projekte sind örtlich begrenzt. In vielen Regionen Deutschlands gibt es keine entsprechenden Angebote.
- Betroffene Personen haben gegenüber den Projekten keinen Rechtsanspruch auf eine medizinische Versorgung.
Was passiert im Notfall?
Kommt jemand ohne geregelten Aufenthaltsstatus als medizinischer Notfall ins Krankenhaus, sind die Ärzt*innen und das medizinische Personal verpflichtet zu helfen – ganz unabhängig von Herkunft und Aufenthaltsstatus der Person³. Die Krankenhäuser können sich laut Asylbewerberleistungsgesetz die Kosten der Behandlung im Eilfall direkt vom Sozialhilfeträger erstatten lassen (§ 6a AsylbLG i.V.m. §§ 4, 6 AsylbLG). Weil die Sozialbehörde in diesem Fall durch das medizinische Personal und nicht durch die betroffene Person selbst kontaktiert wird, darf sie die persönlichen Daten nicht an die Ausländerbehörde übermitteln. So die Theorie.
Der sogenannte Nothelferparagraph im Asylbewerberleistungsgesetz (§ 6a AsylbLG) soll eigentlich sicherstellen, dass Krankenhäuser im Notfall auch dann eine Kostenerstattung bekommen, wenn Patient*innen nicht schnell genug einen Behandlungsschein vom Sozialamt bekommen können. Der Anwendungsbereich ist jedoch viel zu eng und die Abrechnung für die Krankenhäuser mit hohen Hürden verbunden.
Sobald die Sozialbehörde zumindest theoretisch erreichbar ist und einen Behandlungsschein ausstellen kann, greift der Nothelferparagraph nicht mehr. Eine direkte Abrechnung zwischen Krankenhaus und Sozialbehörde ist folglich nur für Behandlungen außerhalb der Öffnungszeiten der Sozialbehörde möglich, also etwa am Wochenende oder nachts. In allen anderen Fällen müssen sich die Patient*innen selbst um einen Behandlungsschein kümmern und riskieren aufgrund der Datenübermittlung eine Festnahme aus dem Krankenbett heraus.
Eine Erstattung der Kosten nach dem Nothelferparagraph durch die Sozialbehörde erfolgt außerdem nur, wenn das Krankenhaus die örtliche Zuständigkeit der Sozialbehörde und die Bedürftigkeit der behandelten Person nachweisen kann. Diesen Nachweis in Form von Meldebestätigungen, Kontoauszügen, Mietverträgen oder Lohnabrechnungen können Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus oft nicht leisten, da sie weder Konto noch Mietvertrag oder Arbeitsverträge haben. Häufig scheitert der Erstattungsanspruch des Krankenhauses an diesen praktischen Hürden. Viele Krankenhäuser scheuen daher mittlerweile den Aufwand eines Erstattungsantrags. Dies führt dazu, dass Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus in manchen Krankenhäusern erst dann behandelt werden, wenn sie eine Kostenübernahme unterzeichnen oder eine pauschale Geldsumme vorstrecken⁴.
In der Praxis kommt es darüber hinaus vor, dass das Krankenhauspersonal Patient*innen ohne geregelten Aufenthaltsstatus aus Unkenntnis über ihre Schweigepflicht direkt bei der Polizei meldet.
³Ärztliche Berufspflichten in Anlehnung an den Hippokratischen Eid (Musterberufsordnung, Bundesärztekammer 2018); Berufsordnung für medizinische Fachangestellte des Verbandes medizinischer Fachberufe e.V.
⁴Ausführlich zu den zahlreichen Hürden: Bundesarbeitsgruppe Gesundheit/Illegalität, Notfallhilfe im Krankenhaus für Menschen ohne Papiere, August 2019; Mylius, Die medizinische Versorgung von Menschen ohne Papiere in Deutschland. Studien zur Praxis in Gesundheitsämtern und Krankenhäusern, 2016, S. 51 ff.; Manteuffel, Papierlos und unterversorgt – Die notwendige Verbesserung der Gesundheitsversorgung von Menschen ohne Papiere in Deutschland, Zeitschrift für medizinische Ethik 64 (2018), S. 35 f.
Reicht eine Notfallversorgung nicht aus?
Das Recht auf eine angemessene Gesundheitsversorgung geht über eine Notfallversorgung hinaus. International ist das Recht auf Gesundheit u.a. in Art. 12 UN-Sozialpakt verbindlich festgeschrieben und umfasst den diskriminierungsfreien Zugang zu einer medizinischen Grundversorgung. Es gilt für alle Menschen, die sich im Staatsgebiet aufhalten, also auch für Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus⁵.
Auch die EU- Grundrechte-Charta gewährt Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus das Recht auf eine notwendige medizinische Versorgung⁶. Eine Beschränkung auf eine Notfallversorgung ist darüber hinaus unvereinbar mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 iVm Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz. Bei fehlenden regelmäßigen Vorsorge- und Kontrolluntersuchungen durch Ärzt*innen können Krankheiten nicht frühzeitig entdeckt und behandelt werden. Dies führt zu unnötigem Leiden und im schlimmsten Fall sogar zum Tod der Betroffenen.
Auch gesamtgesellschaftlich kann kein Interesse daran bestehen, dass sich Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus in Deutschland beispielsweise nicht impfen lassen können. Schließlich sprechen auch finanzielle Argumente für eine frühzeitige und regelmäßige medizinische Versorgung, denn sie ist im Ergebnis viel günstiger ist als teure und langwierige Notfallbehandlungen im Krankenhaus.
⁵CESCR, General Comment Nr. 14, The Right to the Highest Attainable Standard of Health (Art. 12), 2000, UN Doc. E/C.12/2000/4, Ziff. 12.
⁶Deutsches Institut für Menschenrechte, Frauen, Männer und Kinder ohne Papiere in Deutschland – ihr Recht auf Gesundheit. Bericht der Bundesarbeitsgruppe Gesundheit/Illegalität, 2008, S. 20
Was passiert bei einer Covid-19-Infektion?
An vielen Standorten in Deutschland wird weiterhin ein Personaldokument oder eine Versichertenkarte verlangt, wenn ein PCR-Test durchgeführt werden soll. Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus können dies nicht vorweisen. Für Menschen, die inoffiziell beschäftigt sind, ist es schwierig, aufgrund von Symptomen oder eines Risikokontakts in Quarantäne zu gehen. Erschwerend hinzu kommen in vielen Fällen beengte Wohnverhältnisse. Auch bei Covid-19-typischen Symptomen können Betroffene keine Arztpraxis aufsuchen, ohne dass entweder die Kosten selbst getragen oder das Sozialamt und damit die Ausländerbehörde und die Polizei eingeschaltet werden. Erst im Notfall würde eine Behandlung erfolgen – jedoch ebenfalls mit einem hohen Risiko einer Übermittlung an die Ausländerbehörde.
Kostet es nicht sehr viel Geld, wenn diese Menschen alle zum Arzt gehen können?
Im Gegenteil kann davon ausgegangen werden, dass der Ausschluss von Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus aus der ambulanten Regelversorgung deutlich mehr Kosten verursacht: Die Behandlung von Krankheiten ist wesentlich kostenintensiver, wenn sie spät erkannt werden. Prophylaxe und frühzeitige Behandlung in der ambulanten Versorgung spart die Kosten aufwändiger Behandlungen von schweren oder chronischen Erkrankungen. Ein einfacher Harnwegsinfekt kann sich unbehandelt zu einer Nierenbeckenentzündung entwickeln; Krebs oder Herz-Kreislauferkrankungen sind im frühen Stadium oft deutlich einfacher und günstiger zu behandeln. Schwangerschaftsvorsorgeuntersuchungen reduzieren die Gefahr von Notfällen während der Schwangerschaft und Geburt.
Die Abschreckung vor dem Aufsuchen eines Arztes oder z. B. einer Hebamme durch die Übermittlungspflicht birgt daher auch finanziell hohe gesellschaftliche Kosten.
Wenn es in Deutschland eine kostenlose Gesundheitsversorgung für alle Menschen gibt, werden dann nicht viele kranke Menschen nach Deutschland reisen, um sich hier umsonst behandeln zu lassen?
Dieses Argument wird oft angebracht, kann aber durch keine Untersuchung belegt werden. Die medizinische Versorgung spielt als sogenannter „Pull-Faktor“ für irreguläre Migration keine große Rolle.
Braucht der Staat nicht irgendeine Möglichkeit, um rauszufinden, wer sich in Deutschland aufhält?
Staaten haben diverse Mittel, um herauszufinden, wer sich im Staatsgebiet aufhält. Diese Instrumente dürfen jedoch nicht zu einem Ausschluss von elementaren Grund- und Menschenrechten führen. Das Menschenrecht auf Gesundheit gilt bedingungslos und darf nicht zwecks Migrationskontrolle beschränkt werden. Die Petition fordert daher eine Ausnahme der Übermittlungspflicht für den Gesundheitsbereich.
Hinzu kommt, dass die Übermittlungspflicht in § 87 AufenthG nicht dazu führt, dass Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus entdeckt und abgeschoben werden. Denn die betroffenen Menschen meiden aus Angst vor der Übermittlung ihrer Daten an die Ausländerbehörde jeglichen Behördenkontakt. Die Übermittlungspflicht trägt in der Praxis also nicht zur Entdeckung irregulärer Aufenthalte bei, sondern entfaltet vor allem eine Abschreckungswirkung.
Ohne die Übermittlungspflicht im Gesundheitswesen stünden deutschen Behörden sogar sehr viel zuverlässigere Informationen über die Anzahl von Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus in Deutschland zur Verfügung. Denn in dem Fall würden die Betroffenen zwecks medizinischer Versorgung die Sozialämter aufsuchen und diese könnten die Daten aggregiert und anonymisiert sammeln.
⁷CESCR, General Comment Nr. 14, 2000, UN Doc. E/C.12/2000/4, Ziff. 11, 34, 43 f. CESCR, General Comment Nr. 14, 2000, UN Doc. E/C.12/2000/4, Ziff. 34, 40.
Wo steht, dass jeder Mensch Recht auf Zugang zu Gesundheitsversorgung hat? Ist die Pflicht, das zu gewährleisten für die Bundesregierung verbindlich?
Völkerrechtlich verbindlich wurde das Recht eines jeden auf das für ihn erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit im Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte von 1966 festgeschrieben (Art. 12 UN-Sozialpakt). Er verpflichtet die Staaten, dieses Recht zu verwirklichen, indem sie u.a. den Genuss medizinischer Einrichtungen und ärztlicher Betreuung schrittweise sicherstellen (Art. 12 Abs. 2). Der für die Auslegung des UN-Sozialpakts zuständige UN-Sozialausschuss betonte, dass dies das Recht auf einen faktischen und diskriminierungsfreien Zugang zu zeitnaher und angemessener Gesundheitsversorgung umfasst⁸. Das Recht auf Gesundheitsversorgung geht dabei über eine bloße Notfallbehandlung hinaus und beinhaltet mindestens eine medizinische Grundversorgung⁹. Das gilt dem Ausschuss zufolge für alle Menschen, die sich im Staatsgebiet aufhalten, also auch für Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus¹⁰.
Entsprechend erntete Deutschland im Rahmen der turnusmäßigen Überprüfung der Umsetzung des Sozialpakts vom UN-Sozialausschuss deutliche Kritik. Der Ausschuss stellte fest, dass die Übermittlungspflicht im Aufenthaltsgesetz Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus davon abhalten könne, den ihnen nach dem UN-Sozialpakt zustehenden Gesundheitsschutz in Anspruch zu nehmen. Dies stelle einen Verstoß gegen das Recht auf Gesundheit und gegen das Diskriminierungsverbot dar (Art. 12 und Art. 2 Abs. 2 UN-Sozialcharta)¹¹. Zuvor hatte sich bereits der UN-Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau in seinen abschließenden Empfehlungen an Deutschland entsprechend geäußert¹².
Auch die Europäische Union hat in der Grundrechte-Charta von 2000 ein individuelles Recht auf Zugang zur Gesundheitsvorsorge und auf ärztliche Versorgung festgeschrieben (Art. 35 GRC). Das Recht gilt auch für Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus. Entsprechend forderte das Europäische Parlament die Mitgliedstaaten dazu auf, Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus einen gleichberechtigten Zugang zur Gesundheitsversorgung zu gewähren. Auch die EU-Grundrechteagentur betont, dass nach der Grundrechte-Charta Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus mindestens ein Recht auf einen gesetzlich gesicherten Zugang zur notwendigen medizinischen Versorgung haben müssen¹³.
Das Recht auf eine gesundheitliche Mindestversorgung ist auch in unserem Grundgesetz enthalten, und zwar als Teil des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, das seinerseits Ausdruck der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 1 GG ist. Die Sicherung des gesundheitlichen Existenzminimums darf nicht an sachfremde Bedingungen geknüpft oder zur Erreichung anderweitiger Ziele relativiert werden. Auf keinen Fall mit dem Grundgesetz vereinbar sind migrationspolitisch motivierte Leistungsausschlüsse oder gar der Ausschluss ganzer Bevölkerungsgruppen von der Versorgung. Mit der Übermittlungspflicht hat der Staat eine unzulässige faktische Zugangsbeschränkung geschaffen. Der Gesetzgeber darf existenzsichernde Leistungen nicht so ausgestalten, dass sie von den Betroffenen wegen überwiegender Nachteile strukturell nicht angenommen werden.
⁸CESCR, Concluding Observations on the Sixth Periodic Report of Germany, 2018, UN Doc. E/C.12/DEU/CO/6, Ziff. 26, 27; so auch die Hohe Menschenrechtskommissarin der Vereinten Nationen Navi Pillay, The Economic, Social and Cultural Rights of Migrants in an Irregular Situation, New York and Geneva, United Nations Publication 2014, S. 44.
⁹Committee on the Elimination of Discrimination against Women, Concluding observations on the combined seventh and eighth periodic reports of Germany, 2017, UN Doc. CEDAW/C/DEU/CO/7-8, Ziff. 38.
¹⁰ CESCR, General Comment Nr. 14, 2000, UN Doc. E/C.12/2000/4, Ziff. 34, 40.
¹¹ CESCR, Concluding Observations on the Sixth Periodic Report of Germany, 2018, UN Doc. E/C.12/DEU/CO/6, Ziff. 26,[1] CESCR, Concluding Observations on the Sixth Periodic Report of Germany, 2018, UN Doc. E/C.12/DEU/CO/6, Ziff. 26, 27; so auch die Hohe Menschenrechtskommissarin der Vereinten Nationen Navi Pillay, The Economic, Social and Cultural Rights of Migrants in an Irregular Situation, New York and Geneva, United Nations Publication 2014, S. 44. 27; so auch die Hohe Menschenrechtskommissarin der Vereinten Nationen Navi Pillay, The Economic, Social and Cultural Rights of Migrants in an Irregular Situation, New York and Geneva, United Nations Publication 2014, S. 44.
¹² Committee on the Elimination of Discrimination against Women, Concluding observations on the combined seventh and eighth periodic reports of Germany, 2017, UN Doc. CEDAW/C/DEU/CO/7-8, Ziff. 38.
¹³ Entschließung des Europäischen Parlaments vom 8. März 2011 zu dem Abbau gesundheitlicher Ungleichheit in der EU (2010/2089(INI)), Ziff. 5. European Union Agency for Fundamental Rights: Migrants in an irregular situation: access to healthcare in 10 European Union Member States, 2011, S. 9.
Wie ist denn die Regelung in anderen Ländern der EU?
Für Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus ist es nicht nur in Deutschland schwierig, sich medizinisch behandeln zu lassen. In vielen europäischen Ländern ist die Gesundheitsversorgung auf eine Notfallversorgung beschränkt. Nur in manchen europäischen Ländern haben Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus einen umfassenden Zugang zur Gesundheitsversorgung. In keinem anderen europäischen Land sind die zuständigen staatlichen Anlaufstellen jedoch verpflichtet, die betroffenen Menschen an die Einwanderungsbehörde zu melden.
Wenn das Gesetz geändert ist, haben Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus dann gleichberechtigten Zugang zu Gesundheitsversorgung?
Nein, auch wenn eine Ausnahme von der Übermittlungspflicht für den Gesundheitsbereich in § 87 Aufenthaltsgesetz aufgenommen wird, haben Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus weiterhin nur Anspruch auf eingeschränkte Leistungen nach §§ 4 und 6 Asylbewerberleistungsgesetz. Sie haben damit Anspruch auf deutlich weniger Leistungen als gesetzlich Krankenversicherte. Auch die fehlende Kostenübernahme von Sprachmittlung sowie Diskriminierung stellen weiter Barrieren im gleichberechtigten Zugang zu Gesundheitsversorgung dar.
Die Abschaffung der Übermittlungspflicht würde jedoch sicherstellen, dass Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus ihren reduzierten Anspruch auf Gesundheitsversorgung in der Praxis auch geltend machen können, ohne eine Entdeckung und Abschiebung befürchten zu müssen.
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