Gleichbehandeln

Der § 87 und seine Folgen

In Deutschland leben viele Menschen ohne Aufenthaltstitel. Sie sind vor Kriegen, Armut oder fehlenden Zukunftsperspektiven aus ihren Heimatländern geflohen, um hier ein besseres Leben zu führen. Sie sind Nachbarn und Arbeitskollegen. Sie haben Familie gegründet. Manche leben schon seit vielen Jahren in Deutschland.

Ihre Schicksale sind einzigartig und doch haben sie alle eines gemeinsam: Durch den § 87 Aufenthaltsgesetz können sie nicht ohne Angst zum Arzt.

Hilf mit deiner Unterschrift, dass sie ihr Recht auf medizinische Versorgung wahrnehmen können. 


Ana* (80) aus Serbien

Seit fast 30 Jahren lebe ich ohne Aufenthaltsstatus in Deutschland. Jetzt bin ich 80 Jahre alt und arbeite als Haushaltshilfe. In all der Zeit bin ich aus Angst nicht zum Arzt gegangen. Bis 2014. Da hatte ich einen schweren Unfall und wurde ins Krankenhaus gebracht.

Ich hatte Angst, in mein Heimatland abgeschoben zu werden und habe mich deshalb nicht offiziell gemeldet. Seit fast 30 Jahren lebe ich ohne Aufenthaltsstatus in Deutschland. Jetzt bin ich 80 Jahre alt und arbeite als Haushaltshilfe. In all der Zeit bin ich aus Angst nicht zum Arzt gegangen. Bis 2014. Da hatte ich einen schweren Unfall und wurde ins Krankenhaus gebracht. Dort haben die Ärzte bei mir mehrere chronische Erkrankungen entdeckt, die dringend behandelt werden mussten. Die Rechnung für Behandlung und Transport bezahlte eine Freundin von mir. Ich hätte das nie im Leben bezahlen können.

Ana lebt seit mehreren Jahrzehnten in ständiger Angst, von der Polizei erfasst zu werden. Trotz ihrer chronischen Krankheiten kann sie nicht zum Arzt. Zwar hat sie dem Gesetz nach Anspruch auf die Kostenübernahme eines Arztbesuchs, aber dann müsste das Sozialamt sie laut § 87 Aufenthaltsgesetz bei der Ausländerbehörde melden. Damit würde ihr die Abschiebung drohen. Eine Zukunftsperspektive hatte und hat Ana weder hier noch in Serbien.

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Liana* (33) aus Georgien

„Irgendwann begannen die starken Schmerzen in den Muskeln. Ich dachte, es wird irgendwann vorbeigehen, aber es wurde immer schlimmer. Zum Arzt konnte ich nicht. Die Rechnung hätte ich nicht bezahlen können.“

„Ich bin nach meinem Studium als Au-pair nach Deutschland gekommen, um hier ein Freiwilliges Soziales Jahr zu machen. In dieser Zeit habe ich gemerkt, dass ich hier eine bessere Zukunft haben werde als in meiner Heimat. Leider wurde mein Diplom als Sozialpädagogin nicht anerkannt und meine Aufenthaltserlaubnis nach dem FSJ nicht verlängert. Also musste ich zurück nach Georgien. Dort war es sehr schwer, eine Arbeit zu finden, und als ich etwas gefunden habe, bekam ich nur sehr wenig Geld. Zum Leben reichte das nicht, obwohl ich bei meinen Eltern lebte. Also bin ich mit einem Touristenvisum zurück nach Deutschland gekommen und lebe jetzt seit mehreren Jahren ohne geregelten Aufenthaltsstatus hier. Ich schlage mich mit Gelegenheitsjob durch.
Irgendwann begannen die starken Schmerzen in den Muskeln. Ich dachte, es wird irgendwann vorbeigehen, aber es wurde immer schlimmer. Zum Arzt konnte ich nicht. Die Rechnung hätte ich nicht bezahlen können.“

Aus Mangel an Alternativen suchte Liana die medizinische Anlaufstelle open.med in München auf, wo Menschen ohne Krankenversicherung medizinisch versorgt und sozial beraten werden. In eine normale Arztpraxis kann sie nicht gehen. Denn um eine Kostenübernahme durch das Sozialamt nach Asylbewerberleistungsgesetz zu erreichen, müsste sie sich an die Sozialbehörde wenden. Diese ist nach § 87 Aufenthaltsgesetz dazu verpflichtet, ihre Daten an die Ausländerbehörde weiterzugeben. Damit würde ihr die Abschiebung drohen.Bis heute lebt Liana in ständiger Angst davor, entdeckt und abgeschoben zu werden. 

„Ich schränke meinen Bewegungsradius enorm ein und wechsle regelmäßig meinen Wohnraum. Ich weiß nicht, wie lange ich noch hierbleiben kann. Ich hatte mir eine sichere Zukunft gewünscht. Bisher hat sich das nicht erfüllt.“

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Klara (42) aus der Mongolei

„Andere Frauen gehen zur Vorsorgeuntersuchung. Ich nicht. Denn ich hatte Angst, entdeckt und abgeschoben zu werden. Damit wäre nicht nur mein Leben bedroht, sondern auch das meines Babys.“ 

„Ich wurde spät schwanger. Meine Freude war zwar groß, aber meine Angst größer. Je älter man ist, umso höher ist die Gefahr einer Risikoschwangerschaft. Andere Frauen gehen zur Vorsorgeuntersuchung. Ich nicht. Denn ich hatte Angst, entdeckt und abgeschoben zu werden. Damit wäre nicht nur mein Leben bedroht, sondern auch das meines Babys. Als ich im dritten Monat war, ging ich schließlich in die Sprechstunde einer anonymen Anlaufstelle für Menschen wie mich, die keinen Aufenthaltsstatus haben. Dort fand ich eine Gynäkologin, die mich ehrenamtlich durch meine Schwangerschaft begleitet hat. Zum Glück hatte ich keine Komplikationen und konnte mein Kind gesund zur Welt bringen.“

So wie Klara ergeht es vielen schwangeren Frauen, die ohne Aufenthaltspapiere in Deutschland leben. Nach Asylbewerberleistungsgesetz stehen ihnen Vorsorgeuntersuchungen während der Schwangerschaft zu. Doch aus Angst vor Abschiebung gehen viele nicht zum Arzt. Aufgrund der Übermittlungspflicht nach § 87 Aufenthaltsgesetz wäre die Sozialbehörde verpflichtet, die persönlichen Daten an die Ausländerbehörde zu übermitteln.

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Sara (28)* aus Serbien

„Als meine Beschwerden über längere Zeit nicht besser wurden, bekam ich wirklich Angst. Mir wurde eine starke Multiple Sklerose diagnostiziert. Ich hatte einen starken Schub, der eine deutliche Behinderung ausgelöst hat. Das Krankenhaus wollte vor der Behandlung eine Kostenübernahme von knapp 4000 Euro. Geld, das ich nicht hatte.“

„Ich war bereits seit einiger Zeit in Deutschland und lebte hier ohne Aufenthaltstitel und ohne Wohnung, als ich irgendwann starke Muskelschmerzen bekam. Als meine Beschwerden über längere Zeit nicht besser wurden, bekam ich wirklich Angst. Wo sollte ich hingehen? In eine öffentliche Praxis konnte ich nicht. Dann erfuhr ich von open.med, wo ich mich ohne Sorgen hinwenden konnte. Nach gründlicher Untersuchung wurde mir eine starke Multiple Sklerose diagnostiziert. Ich hatte einen starken Schub, der eine deutliche Behinderung ausgelöst hat. Das Krankenhaus wollte vor der Behandlung eine Kostenübernahme von knapp 4000 Euro. Geld, das ich nicht hatte. Eine externe Stelle übernahm vorläufig die Kosten, damit ich behandelt werden konnte. Immer wieder frage ich mich, was passiert wäre, hätte ich früher eine Untersuchung bekommen?“ 

Aus Angst vor Konsequenzen mied Sara lange den Kontakt zu den Behörden. Nach ihrer Erstbehandlung im Krankenhaus wurden ihre weiteren Therapiekosten auf zusätzliche 5000-6000 Euro geschätzt. Für Sara wurde ein Antrag auf humanitären Aufenthalt gestellt, der die Behandlung zumindest vorübergehend sicherstellt. Mittlerweile ist sie stabil und hat eine Unterkunft. Wäre Saras Krankheit weiter unentdeckt geblieben, wären irreversible Muskelschäden entstanden, die zu Lähmung und Tod geführt hätten.

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*Namen zum Schutz der Person geändert

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